Entschleunigung durch Design

by Lotta Kunft

Materieller Wohlstand führte uns mehr und mehr in eine beschleunigte Gesellschaft, in welcher Menschen alle für sich unter Druck arbeiten, um gleichzeitig ein erstrebenswertes Leben führen zu können. Design läuft häufig parallel zu beschleunigenden Strömen und wird nur selten als Tool für Verlangsamung genutzt.

Die Entwicklung hin zu einer Beschleunigungsgesellschaft nahm ihren Ursprung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Industrialisierung brachte eine Beschleunigung in der Technik hervor, die sich auch auf soziale Bereiche ausweitete. Anfänglich war Mobilität und Vernetzung nur einigen Privilegierten zugänglich (vgl. Wajcman 2015: 58). Die Auswirkungen dieser Beschleunigung sind heute im täglichen Leben und in der Zeitwahrnehmung allgegenwärtig.

Weltweite Gleichzeitigkeit ist heute eine selbstverständliche Bedingung unseres Lebens (vgl. ebd.). Alles ist ständig verfügbar – wie wir unsere Zeit und unser Handeln takten, ist selbstbestimmt und kaum von äußeren Faktoren eingeschränkt. Dies führt dazu, dass wir einen hohen Leistungsanspruch an uns selbst entwickeln. Waren sind heutzutage weder örtlich noch zeitlich gebunden. Daher können wir unsere eigenen Wünsche auch nach der Arbeit erfüllen oder mobil und flexibel arbeiten, während wir gleichzeitig unseren Wünschen nachkommen (vgl. ebd.:18). Borries argumentiert, im Kapitalismus sei Selbstdesign zur Pflicht geworden (vgl. 2016: 104). Dem Optimierungsdrang können wir uns trotz der Belastungen, die damit einhergehen, nicht entziehen.

Die Studierenden Sarah Franzl, Paul Mairböck und Philipp Totschnig von der Akademie der Bildenden Künste in Wien thematisieren diese Problematik in ihrem Projekt „The Stress Suit". Dabei konzentrieren sie sich insbesondere auf den Zeitdruck und den Stress im Arbeitskontext. In einem Video wird eine arbeitende Person im Einzelhandel gezeigt, die mit ungeduldigen Kunden und unaufgefüllten Regalen konfrontiert ist. Die gesamte Verantwortung liegt bei einer Person, und es wird deutlich, wie sich eine Stresssituation mehr und mehr aufbaut und schließlich entlädt. Die Jacke der Person füllt sich nach und nach mit Luft, bis sie vollständig bewegungsunfähig und von der Stresssituation abgeschirmt ist.

Jedoch zeigen auch die anderen ungeduldigen Menschen an der Kasse, dass jede Person individuell von Zeitdruck betroffen ist. Theresa Bücker schreibt wir hätten die Erkenntnis verloren haben, dass Zeit politisch und nur gesellschaftlich zu lösen sei (vgl. 2022: 314). Dies hängt mit der Gleichsetzung von Zeit und Geld zusammen, da wir gelernt haben, dass wir ganz individuell für die Beschaffung dessen verantwortlich sind.

Auch die Studierenden aus Wien plädieren für staatliche und unternehmensinterne Rahmenbedingungen, wie beispielsweise die Arbeitszeitverkürzung, anstelle von Arbeitnehmer:innen, die individuell für sich eintreten müssen (vgl. Franzl et al. 2022).

Das Design ist ebenfalls ein Mitspieler in unserer beschleunigten Gesellschaft. Das Ästhetische ist überall zu finden und trägt ähnlich wie die Technologie dazu bei. Die Arbeiten der Designerin Agnes Kelm aus Berlin sind häufig gesellschaftspolitisch beeinflusst. Ihr Projekt "DAS TUN AN SICH" beinhaltet sechs Objekte, die von bloßem Erreichen eines Ziels oder Ergebnisses befreien sollen und den Handlungsprozess in den Vordergrund stellen (vgl. Kelm 2021).

Bei den Objekten handelt es sich um unterschiedlich geformte Besen. Sie unterscheiden sich alle von herkömmlichen Besen, sodass bei der Benutzung, obwohl sie alle zum Fegen geeignet sind, eine Konzentration nur auf die Handhabung erforderlich ist. Immer gleiche Bewegungsabfolgen sollen zu einer „meditativen Praxis zu Hause führen“ (Kelm 2021). „So bieten die Objekte Anlass zur Auseinandersetzung mit leistungsorientiertem Handeln und hinterfragen übliche Annahmen über die Funktionalität und Effizienz von Abläufen (ebd.).“

Beide bisher beschriebenen Projekte suchen Mittel, um individuellen (Zeit-)Druck zu kompensieren. Sie machen auf den politischen Diskurs aufmerksam und entwickeln Strategien für den Umgang damit. Eine weitere Strategie ist das Malen von Utopien. Martina Huynh beschäftigt sich mit ihrer interaktiven Installation „Basic Income Café“ mit alternativen Volkswirtschaften und einer Form des „Arbeitens“ abseits des Belohnungssystems.

Die Besucherinnen des Cafés erhalten kostenlos eine Tasse Kaffee, die ausreicht, um den Tag zu bestreiten. Die Tasse Kaffee steht hierbei für ein bedingungsloses Grundeinkommen, welches jeder Bürgerin ermöglichen soll, alle monatlichen Ausgaben abzudecken. Die Besuchenden können frei entscheiden, ob sie zusätzlich aus eigener Motivation heraus „arbeiten“ möchten. Hier wird das „Arbeiten" mit der Metapher des Mahlens der Bohnen gezeigt. Dies kann vor oder nach der freien Tasse Kaffee geschehen oder auch gar nicht. Im gesamten Café sitzen die Besuchenden an runden Tischen auf kreisförmigen Bänken. Sie sind immer einander zugewandt, sodass soziale Interaktion und vielleicht auch Gespräche über Arbeit und Einkommen entstehen können.

Das Projekt vereinfacht ein komplexes System und hinterfragt zum Beispiel unsere Arbeitsethik. Reicht die Schaffung eines sozialen Umfeldes und die Annahme, dass Menschen aus innerer Motivation arbeiten, um die freie Tasse Kaffee weiterhin für alle Besuchenden zu ermöglichen? Friederike Habermann meint in ihrem Artikel im Buch „Zeitwohlstand“, dass das Belohnungssystem die Lust auf Kreativität, Hilfsbereitschaft und soziale Verantwortung hemmt. Würde man also von einem System ausgehen, wie es Huynh beschreibt, wären Menschen trotzdem bereit zu arbeiten. Öffnungszeiten würden sich danach richten, wann die Menschen gerade Lust hätten zu arbeiten, wodurch nicht alles zu jeder Zeit verfügbar wäre. Eine Gleichzeitigkeit, wie wir sie häufig spüren, könnte gar nicht entstehen.

„Entwerfen ist der Ausgang des Menschen aus seiner Unterworfenheit“ (Borries 2016:15).

Design ist ein Tool, welches be- und entschleunigen kann. Design, welches entschleunigt, kann die Zeit wieder mehr in den politischen Fokus rücken und zu mehr Zeitwohlstand beitragen.



Last update: 11/06/2024 11:15
902 words

Links:

Wajcman, Judy (2015): Pressed for Time: The Acceleration of Life in Digital Capitalism, 1. Aufl., London, Großbritannien


Borries, Friedrich von (2016):Weltentwerfen: Eine politische Designtheorie, 1. Aufl., Berlin, Deutschland


Bücker, Theresa (2022): Alle Zeit: Eine Frage von Macht und Freiheit, 3. Aufl., Berlin, Deutschland


Rosa, Hartmut/ Niko Paech/ Friederike Habermann/ Frigga Haug/ Felix Wittmann/ Lena Kirschenmann (2014): Zeitwohlstand: Wie wir anders arbeiten, nachhaltig wirtschaften und besser leben, 1. Aufl., München, Deutschland


Franzl, Sarah/ Paul Mairböck/ Philipp Totschnig (2022): The Stress Suit, [online] https://designinvestigations.at/projects/the-stress-suit/ [abgerufen am 21.01.2024]


Kelm, Agnes (2021): Das Tun an sich: nicht ganz effektive Objekte für die meditative Praxis zu Hause, [online] https://agneskelm.com/DAS-TUN-AN-SICH [abgerufen am 21.01.2024]


Huynh, Martina (2024): basic income café [online] http://basicincomecafe.com/ [abgerufen am 21.01.2024]