Simulation im Design - Zwischen Digital und Analog

by Leon Ehmke

Das Wort Simulation kommt von dem lateinischen Wort „simulare“ und bedeutet so viel wie „nachahmen“ oder „ähnlich machen“. Simulationen empfinden also etwas bereits Bestehendes nach. Im Design werden Simulationen jedoch regelmäßig in verschiedensten Formen eingesetzt, um Neues zu schaffen und die Welt von morgen zu „visualisieren“.

„It [Simulation] is the generation by models of a real without origin or reality: a hyperreal.“ - Jean Baudrillard (Baudrillard, 1983, S.2)

Doch wann ist welches Werkzeug das richtige? Auf welche Weise wird die Simulation im Design eingesetzt und wo liegen ihre größten Potenziale? Die Grundidee für dieses Essay stammt aus Jean Baudrillads Auseinandersetzung mit dem Thema Simulation und meiner Auseinandersetzung mit der Wechselwirkung zwischen Digital und Analog.

Simulation als Werkzeug

Simulation spielt im Design primär die Rolle eines Werkzeugs. Ob wir etwas zeichnen, physisch eine Form erstellen oder etwas in CAD modellieren - all das sind verschiedene Wege, um zu experimentieren, Ideen zu visualisieren und festzuhalten. Im Prozess geht es stets darum, schnell in einen Arbeitsfluss zu gelangen. Die Wahl des Werkzeugs oder des Mediums spielt dabei eine entscheidende Rolle. Digitale Werkzeuge wie zum Beispiel Adobe Photoshop haben ihren Ursprung im analogen Arbeiten und simulieren genau diese Medien wie zum Beispiel das klassische Malen und Zeichnen oder Kollagieren. Im Prozess helfen sie, uns in ein praktisches Arbeiten zu kommen und ermöglichen das spielerische Kreieren und Experimentieren. Da die ursprünglichen Vorbilder wie etwa ein authentischer „Filmlook“ oder natürliche Wasserfarben nur schwer im digitalen erreicht werden, haben sich eigene Looks für bestimmte Werkzeuge entwickelt. Diese können als Stilmittel eingesetzt werden. Gleichzeitig stellt sich jedoch auch die Frage, ob man dem Endergebnis ansehen kann, mit welchem Werkzeug es geschaffen wurde. Dadurch spielen Simulationen nicht immer eine neutrale Rolle, sondern haben einen gewissen Einfluss auf den Charakter der Gestaltung.

Digitale Pinnwände wie Miro helfen uns beispielsweise schnell Ideen zu zeigen, zu organisieren, festzuhalten und zu teilen. Der soziale Aspekt der digitalen Zusammenarbeit auf einer gemeinsamen Oberfläche ist einer der größten Vorteile. Im Vergleich zur analogen Arbeit an einer Wand bieten die digitalen Werkzeuge deutlich mehr Möglichkeiten in einem portablen Format. Das ist in vielen Situationen vorteilhaft. In anderen Situationen ist jedoch auch die Einfachheit des analogen Arbeitens wünschenswert, da die kognitive Verarbeitung zum Beispiel beim Schreiben per Hand deutlich besser ist.

Einer der größten Bereiche ist die Arbeit mit CAD Software. Sie bietet eine deutlich höhere Genauigkeit als die händische Arbeit an einem Mock-up. Dafür überwiegt bei der physischen Arbeit das „Denken mit der Hand“. In diesem Kontext benötigt es also beide Seiten - sowohl das digitale Modell, als auch eine physische Repräsentation. Digitale Werkzeuge werden zunehmend komplexer und bestehen mittlerweile aus vielen Untersimulationen. Sie behandeln die realistischen Verhaltensweisen wie die physikalischen Eigenschaften von Flüssigkeit, Atmosphäre oder Material. Besonders für die Fertigung spielen physische Materialsimulationen eine wichtige Rolle. Sie helfen dabei, die Umsetzbarkeit eines Produkts zu beurteilen. Dadurch können Ressourcen wie Zeit, Geld und Materialien gespart werden. Es gibt jedoch auch eine gewisse Diskrepanz zwischen der Simulation und der Realität. Manche Dinge funktionieren digital, die in der Realität nicht unbedingt klappen und umgekehrt. Hier sind sowohl ein gutes Beurteilungsvermögen als auch funktionale Modelle nötig.

Die Dinge wirken in ihrer physischen oder analogen Erscheinung anders als in der digitalen Simulation. Das hängt zum Teil mit der digitalen Darstellung auf einem zweidimensionalen Monitor zusammen. Diese Art der Betrachtung ist verhältnismäßig unnatürlich und nicht immer realitätsgetreu. Zum Beispiel wirken CAD Zeichnungen je nach Maßstab häufig etwas zu groß oder zu klein. Erst ein physisches Modell gibt hier Aufschluss über die richtigen Proportionen. In der digitalen Darstellung können zudem Illusionen durch eine verzerrte Perspektive oder einen Simultankontrast vorkommen.

Zur immersiveren Darstellung werden zunehmend Virtual und Augmented Reality verwendet. Diese Art der Darstellung integriert das digitale Bild deutlich natürlicher mit unserer Weise Dinge in der Realität zu betrachten. Außerdem bieten sie die Möglichkeit, mit dem Modell zu interagieren und es entweder von der Umgebung isoliert oder mit dieser in direkter Verbindung zu betrachten. Das bietet nicht nur Potenzial für Ausstellungen, sondern ermöglicht es auch, Produkte direkt für Verbraucher zugänglich zu machen, sodass man ein Produkt zum Beispiel direkt in der eigenen Umgebung ausprobieren kann, bevor man es kauft. Anwendungen wie „Gravity Sketch“ erlauben es, im dreidimensionalen Raum zu zeichnen. Somit verschwimmt die Ebene zwischen dem intuitiven Skizzieren und dem präzisen Zeichnen in einer CAD Software zunehmend. Auf diese Weise können 3D Objekte noch emotionaler und fließender gestaltet werden und es kann auf Zwischenschritte wie das Digitalisieren von Skizzen verzichtet werden.

Gravity Sketch

Ein weiteres Beispiel ist die Darstellung von zweidimensionalen Printmedien. Das physische gedruckte Format hat eine deutlich andere Wirkung, als die digitale Darstellung auf einem Monitor. Die Darstellung auf einem handgehaltenen Bildschirm wie einem Tablet, das dem Format des Endprodukts nahekommt, simuliert das Endergebnis deutlich besser. Ein weiterer Schritt zum finalen Medium ist die Kombination aus Digital und Analog in der Darstellungsweise. Paperdisplays gehen diesen Schritt und machen digitale Entwürfe auf einem analogen Medium sichtbar. Ein weiteres Beispiel sind grafische Projektionen, die auf Kleidung als analoges Medium geworfen werden.

Projektion auf Kleidung

Generatives Design ermöglicht eine andere Art der digitalen Gestaltung. Dabei werden Strukturen aufgrund von Parametern und Regeln erstellt und visualisiert. An dieser Stelle setzt auch künstliche Intelligenz an, um eine Bandbreite an Kombinationen aus Formen und Prinzipien zu erschaffen. Dies kann unter anderem als Startpunkt für Konzepte eingesetzt werden. Der große Vorteil dieser Arbeitsweise ist die Möglichkeit, schnell Iterationen zu erschaffen. Der Designer muss hierbei in der Lage sein, die Varianten für die Weiterarbeit entsprechend zu evaluieren.

Jedes neue Werkzeug muss jedoch erlernt werden. Mit der steigenden Komplexität der Simulationen gibt es zunehmend mehr Lernbedarf für die Designer und eine höhere Komplexität in den Anforderungen an die digitale Infrastruktur. Somit kann Rechenleistung unter anderem als Preis für die Möglichkeiten der Simulationswerkzeuge betrachtet werden.

Simulation als Modell

Die zweite Funktion, die Simulation im Design trägt, ist die Funktion als Modell. Da ein Modell oft auch eine Art Werkzeug ist, muss hier klar unterschieden werden. Ein Modell ist das Ergebnis dessen, was im kreativen Prozess erschaffen wurde. Es wird verwendet, um einen bestimmten Designaspekt, wie zum Beispiel eine Funktionsweise, Form oder Oberfläche zu visualisieren. Im Kern liegt der Zweck des Modells in der Veranschaulichung und Vereinfachung eines Sachverhalts. Nach Baudrillard gibt es zwei Ebenen der Abstraktion. Die erste Ebene besteht in der Reduktion von Informationen. Die zweite Ebene der Abstraktion besteht in der Vereinfachung, zum Beispiel durch den Einsatz stilistischer Mittel, um bestimmte Informationen hervorzuheben).

Im Design werden komplett neue Szenarios geschaffen. Neben der einfachen narrativen Ebene können Concept Arts diese Vorstellungen modellieren. Dabei handelt es sich um Zeichnungen oder Gemälde, die ähnlich wie ein Storyboard oder ein Film eine Geschichte erzählen. Der große Vorteil liegt darin, dass in kurzer Zeit neue Umgebungen und Settings visualisiert werden können, bei denen vor allem die Gesamtwirkung im Vordergrund steht.

Renderings sind das Ergebnis von Render Engines. Sie simulieren Materialien, Oberflächen und den natürlichen Fall von Licht. Es ist jedoch nicht einfach, Fotorealismus in Renderings zu erzeugen. Dazu benötigt es ein sehr genaues Verständnis davon, wie wir die Welt um uns herum visuell wahrnehmen. Simulationen nehmen uns in dieser Hinsicht also nicht die Arbeit und das Know-how ab.

Simulation als Produktfeature

Bei der dritten Form, in der Simulation im Design auftritt, handelt es sich um die Verwendung direkt am Produkt als Teil der Gestaltung. Sie dient dazu, einem Produkt einen analogeren Charakter zu verleihen. Vor allem im Kamera und Musikbereich ist dies üblich, da hier die Verbindung zur analogen Vorgeschichte der Produkte besonders direkt ist. Ein Beispiel sind die Filmsimulationen in Fujifilm Kameras, die dem Nutzer das Gefühl einer analogen Kamera simulieren. Durch bestimmte Einstellungen in der Software - die sogenannten „Filmrezepte“ wird ein analoger Filmlook erzeugt. Zusammen mit der Gesamtgestaltung der Kamera entsteht ein einzigartiges Produktgefühl.

Filmsimulation von Fujifilm

Dank Simulationen können wir noch nie Gesehenes darstellen und spielerisch ausprobieren. Die Abwägung zwischen analogen und digitalen Möglichkeiten ist für den Designprozess und das Endprodukt entscheidend und hängt vor allem von den eigenen Fähigkeiten und Vorlieben, jedoch auch von den technischen Voraussetzungen und dem Anwendungsfeld ab. Es ist wichtig, die Grenzen der Simulationstools zu kennen und zu wissen, an welchen Punkten der analoge Weg sinnvoller ist.

Als Designer liegt das größte Potenzial in der Kombination aus einer digitalen Simulation und einem analogen Darstellungsmedium zu einem Gesamterlebnis. Hier liegt sowohl der größte Nutzen für den Designprozess, als auch spannende Entwicklungschancen für neue Produktideen. In den heutigen Zeiten, in denen Reizreduktion zunehmend wichtiger für den Alltag wird, besteht für mich das Ziel darin, die digitale Komponente der Simulation weitgehend in den Hintergrund zu rücken, sodass eine möglichst natürliche Erfahrung entstehen kann. Außerdem finde ich es spannend, wie sich die Wahl der Werkzeuge, trotz einer gleichbleibenden persönlichen Gestaltungssprache, im Visualisierungsstil und dem Produkt widerspiegelt.



Last update: 11/06/2024 11:15
1549 words

Links:

Baudrillard, J. (1983) (Foreign Agents Series) - Simulations -Semiotext(e) Auszug

DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. (2021, 1. Juni). DWDS. https://www.dwds.de/wb/simulieren

Farbwiedergabe. (o. D.). FUJIFILM Digitalkameras X Serie & GFX -Deutschland. https://fujifilm-x.com/de-de/products/cameras/x-s10/feature-color/

Gravity Sketch. (2021, 2. Dezember). Gravity Sketch | 3D design and modelling software. https://www.gravitysketch.com

Hoffmann, S. (2016, 10. August). Ein Modell ist durch nichts zu ersetzen. blog.formteam. https://blog.formteam.de/nc/artikel/ein-modell-ist-durch-nichts-zu-ersetzen.html

Kandziora, M. (2016, 6. Dezember). Sketches im Designprozess. blog.formteam. https://blog.formteam.de/nc/artikel/sketches-im-designprozess.html

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Mangold, M. (2021, 1. März). Unterschied Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR). Magic Holo. https://magic-holo.com/unterschied-virtual-reality-vr-und-augmented-reality-ar/

mpb.com - Buy or Sell Used Photo & Video Equipment. (o. D.). MPB. https://www.mpb.com/en-us/blog/article/12562/

Ortiz, McCaig. Mit Concept Art Ideen zum Leben erwecken. (o. D.). Adobe. https://www.adobe.com/de/creativecloud/ illustration/discover/concept-art.html

Sinn und Zweck der Simulation. (o. D.). FH-Köln. http://www.gm.fh-koeln.de/%7Ekonen/WPF-Spiele/materialien/WPF-Teil1/OekoSim0/OeSi1.html