Werkbundkiste - Maru Scheel
by Maru Scheel„Werkbundkiste“
Die Werkbundkiste entstand aus einer Initiative des deutschen Werkbundes, Schülerinnen und Schüler „gutes Design“ zu lehren, beziehungsweise einen frühen Kontakt mit „guten Formen“ zu schaffen.
Deutschland stand nach dem verlorenen Krieg vor einer großen Herausforderung. Mehr als fünf Millionen Wohnungen und ihr Inhalt wurden zerstört, und die materiellen Ressourcen wurden weit über die 1940er Jahre hinaus strapaziert. (vgl.) In den ersten Jahren nach dem Krieg, waren „gestaltete“ Produkte und Güter Mangelware. Kaum Menschen konnten sich wertvolle, „schön gestaltete“ Waren leisten oder besaßen welche. Die zerstörten Häuser und die Leere, die auf einmal an diesen Orten entstand, war repräsentativ für die Leere, die die Menschen in sich selbst wahrnahmen. (vgl.)
Mit dem schnelle Wiederaufbau der Häuser und Städte, schien sich jedoch diese Leere zu füllen und die Häuslichkeit und der Wohnraum rückten vermehrt in den Mittelpunkt der deutschen Politik und Gesellschaft. (vgl.) Mit dem Aufbau des Wohnraums ging auch die Gestaltung dessen einher, woraufhin das Produktdesign immer mehr an Bedeutung gewann. Man versuchte mit der Fülle an Produkten, das Trauma welches der Krieg entstehen lies, zu überdecken und nahtlos zu ersetzten. (vgl.)
Die gewerbliche Industrie und der tertiäre Sektor waren die am schnellsten wachsenden Teile der westdeutschen Wirtschaft. Innerhalb der Industrie waren die am stärksten expandierenden Sektoren die Investitionsgüterindustrie: Erdölraffination, Chemie, Herstellung und Verarbeitung von Kunststoffen, die Automobilindustrie und die Elektronikindustrie. (vgl.) Mit diesem Wachstum, nahm auch die Produktvielfalt zu und die Konsumgesellschaft stand in ihren Startlöchern. Günstige industriell gefertigte Waren, standen nach und nach der Bevölkerung zur Verfügung und die Welle der Masse an Produkten schien sich über Westdeutschland zu schieben.
Die Politik und vor allem auch der deutsche Werkbund, wollte die zu befürchtende Überflutung der Bevölkerung durch Konsumgüter, in Folge des wirtschaftlichen Wachstums, verhindern. Sie machten sich zur Aufgabe das westdeutsche Volk an „gutes“, qualitativ hochwertiges und langlebiges Design heranzuführen — wobei vor allem die „gute Form“ im Vordergrund stand. Der Werkbund verabscheute die Ornamentik und bestand auf ein schlichtes, funktionelles Design. „Reichhaltige Ornamentik, so argumentierte der Werkbund weiter, verschleiere zudem einen Mangel an handwerklicher Kompetenz und Qualität, insbesondere bei industriell gefertigten Objekten.“ (vgl.)
Mit der Distanzierung der „unnützen“ Verzierungen, sollte sich Deutschland, in Augen des Werkbundes, auch von der zuvor herrschenden deutschen Geschichte distanzieren.
"Doch wie sollte den Kunden beigebracht werden, „richtig“ einzukaufen? Wie würde und sollte ein Westdeutscher lernen zu konsumieren?“
Während Schulkinder ermutigt wurden, die Wohnberatungsstelle, ein Ausstellungsraum, welcher verschiedene Möglichkeiten zu Gestaltung des Wohnraums zeigte, ohne die Besucher zum Kauf zu zwingen, zu besuchen, war der Werkbund der Meinung, dass die Distanz zwischen Gestaltung und jungen Menschen weiter verringert werden könnte, wenn Design unmittelbar an die Schulen gebracht würde.
Das Konzept der Werkbundkiste schien Zielführend zu sein. Schülerinnen und Schülern wurden verschiedene, aus Holz gefertigte, Kisten —drei Themenkästen mit Elementen des täglichen Lebens: Küchengeräte, der Arbeitstisch und der gedeckte Tisch— angeboten, aus denen sie, die jeweiligen Produkte des Themengebiets, spielerisch kennenlernen konnten und anhand dessen, das gute Design lernen „durften“. Es wurde bewusst, auf Negativbeispiele verzichtet, um Freiraum für eigenes kritisches Denken zu ermöglichen, ohne zu viel vorzugeben und anhand der positiven immer wieder auftauchenden Formen zu lernen. Nicht nur die Form, auch die Qualität und die damit einhergehende Materialität, sollten die Schülerinnen und Schüler lernen.
Doch so sehr das Konzept bei Lehrer:innen und Schüler:innen an Zustimmung fand, so sehr gab es auch kritische Stimmen, die vor allem das einseitige Lehren des deutschen Designs kritisierten. Zwar warb der Werkbund damit, sich von der Vergangenheit loszulösen, Freiraum für individuelles Denken zu schaffen, gleichzeitig stellte er der Jugend nur deutsches Design vor und lenkte so die Wahrnehmung und Toleranz/ Akzeptanz (wenn auch nur im Designkontext) der damaligen Kinder, auf deutsches Design. Kritiker sprachen vom „einimpfen“ vergangener Ideologien durch das stetige bestätigen, deutscher Qualität und deutschen Geschmacks. Deutschland sollte national wie international, als Land der qualitativ hochwertigeren Produkte gesehen werden.
Damals entstand die Idee der Werkbundkiste aus Angst vor der „Überflutung“ von Produktmassen und dem damit eingehenden Verlusts des guten Geschmacks. Heutzutage sind wir mittendrin in der „Produktflut“. Täglich werden Produkte gekauft, verbraucht und entsorgt. Meist sind diese Gegenstände vor Entsorgung noch voll intakt und gebrauchsfähig. Lediglich die Form, Farbe, oder Größe stimmt nicht mehr mit dem neuen Trend überein. Wir leben in mitten von Fast-Fashion, „Fast-Product“ und „Fast-Life“.
Doch könnte eine neue Interpretation der Werkbundkiste unser Konsumverhalten ändern und wie müsste eine solche Kiste aussehen?
Qualität spielt scheinbar eine große Rolle in unserer Kaufentscheidung. Wir wollen die hochwertigsten Produkte zum niedrigsten Preis. Wenn der Preis jedoch nicht stimmt, greifen wir schnell zur kostengünstigeren, billigeren, qualitativ niederen Produkten ohne uns dessen Ausmaß bewusst zu werden.
In der ursprünglichen Werkbundkiste, spielte die „gute“, schlichte Form die bedeutendste Rolle. Die Qualität solle hervorragend sein und auch über die Materialen sollte gelehrt werden.
Die heutige Werkbundkiste würde sich in der Grundidee also wahrscheinlich garnicht so stark von ihrem Ursprung unterscheiden. Sie müsste wieder den Fokus auf langlebiges, qualitativ hochwertiges Design lenken.
Da aber gerade die zu starke Lehre des deutschen Designs in Kritik stand, könnte eine internationale Kiste ein Lösungsansatz sein. Nicht als Vorgabe, was gutes Design sei, sondern als inspiration und Wissensvermittlung wie andere Regionen und Kulturen, in ihrer Historie und in ihrer Gegenwart designen. So könnten Kisten aus Asien, Amerika, Australien, oder Afrika gezeigt werden und damit wie unterschiedlich oder gleich sich Design entwickelt hat.
Gleichzeitig könnte Fokus auf die in den Regionen benutzen Materialien gelegt werden. Ähnlich wie im Werkbund könnten die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Materialien gelehrt werden und vor allem der Konsum von Plastik könnte exzessiv behandelt werden. Es sollte ein Bewusstsein geschaffen werden, in welchen Situationen Plastik sinnvoll und in welchen es Verschwendung ist. Plastik ist nicht grundsätzlich schlecht, aber in vielen Bereichen nur zum wegschmeißen konzipiert und somit falsch eingesetzt.
Gerade in der heutigen Zeit, in der übermäßige Plastikkonsum als eines der größten Probleme, unserer und der folgenden Generationen besteht, sollte in einer modernen Lehrkiste, weniger auf die Form, denn diese ist subjektiv und regional geprägt, als auf die Verwendung von Materialien eingegangen werden. Man sollte Beispiele aufbringen bei denen der gleiche Gegenstand mit unterschiedlichen Materialien und Produktionsweisen gefertigt wurde und anhand dessen die unterschiedlichen Eigenschaften und Entsorgungsmöglichkeiten sowie Anwendungsmöglichkeiten aufzeigen. Die Qualität der Produkte sollte stärker als die Form im Vordergrund stehen. Die Werkbundkiste sollte nicht als Ideologie sondern als Vorschlag, als Hinweis präsentiert werden.
Heutzutage haben wir die Wertschätzung gegenüber jeglicher Produkte verloren. Alles kann jederzeit ersetzt werden, denn es ist im Prinzip wertlos. Durch die außergewöhnliche Präsentation der Produkte in der originalen Werkbundkiste, wurde jedes einzelne Produkt in seinem Wert bestärkt. Jedes Objekt hatte seinen eigenen, für ihn erschaffen Platz. Die heutige Kiste sollte es schaffen, dem Produkt diesen Platz nicht nur in der Kiste zu widmen, sondern auch die angemessene Wertschätzung gegenüber des Objektes ins tägliche Bewusstsein des Nutzers rufen.
Da Elektronik nicht mehr aus unserem Alltag zu denken ist. Sollte eine moderne Werkbundkiste dieses Thema ebenfalls bearbeiten. Wie in allen Bereichen gibt es in dem Themenbereich Elektronik verschiedene Qualitäten. Vor allem die Lebensdauer der Bauteile, aber auch die Lebensdauer der Software sind Grundmerkmal der Qualität. Die „gute From“ wird von den „Elektronik-Riesen“ vorgeben, doch auf die äußerliche Form des elektronischen Produktes sollte in der modernen Lehrkiste erneut wenig Augenmerk gelegt werden. Es sollte vielmehr das Thema der Nachhaltigkeit, der Reparierbarkeit und Austauschbarkeit behandelt werden. Denn Qualität kann auch bedeuten, dass man ein Produkt wieder und wieder reparieren kann und so der wegwerft Gesellschaft die Stirn bietet.
Die Wegwerf-Mentalität findet in der Fashion-Welt exzessiv gebrauch. Jegliche Formen und Farben sind zu kaufen, doch was qualitativ hochwertig ist, lässt sich als Laie kaum sagen. Lediglich durch den Preis lässt sich einschätzen welches Produkt hochwertiger oder minderwertiger ist. Doch ob große Namen, diesen Vorteil ausnutzten und überteuert, scheinbar hochwertige Kleidung verkaufen ist nicht nachzuvollziehen. Eine moderne Kiste sollte also Stoffbeispiele zum anfassen, anhand derer jugendliche früh lernen in wie weit sich Qualitäten unterscheiden.
Die heutige „Werkbund“kiste, sollte sich also wenig mit der eigentlichen Form von Produkten, als vielmehr mit dessen Qualität und Nachhaltigkeit beschäftigen. Es sollte nicht nur vom Kauf bis zur Benutzung, sondern darüberhinaus bis zur Entsorgung und der Wiederverwendung gedacht werden.
Es gibt so viele Formen und Farben, dass für jeden etwas dabei sein sollte. Versuchen diese zu standardisieren, wäre optisch und nicht zeitgemäß. Nachhaltigkeit und Materialität ist jedoch viel weniger subjektiv und kann anhand von wissenschaftlichen Daten und Fakten belegt und begründet und damit standardisiert werden. Würde Qualität frühzeitig gelehrt, würden Jugendliche vielleicht früh verstehen, worauf man beim Kauf von Produkten achten muss, welche Hinweise es gibt und wie man der Überflutung entkommen kann. Genau wie die Wissenschaft sollte die Kiste nicht statisch, sondern im Wandel und kritisch mit sich selbst sein. Durch die Covid19-Pandemie und der Möglichkeit zum Homeoffice, rückt heute wie damals, der Wohnraum wieder in das Zentrum des menschlichen Alltags. Die moderne Kiste sollte sich also den neuen Erkenntnissen der Welt und nicht nur Deutschlands anpassen und lehren wie wir auf uns gegenseitig und auf unseren Planeten, unseren gemeinsamen Wohnraum acht geben.
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