Dieter Rams 10 Thesen zum Design und der Nicer Diner
by Friederike HaeuserIn folgendem Essay werde ich untersuchen, wie der aus dem Teleshopping bekannte, „Nicer Dicer“ von Genius hinsichtlich der vom Industriedesigner Dieter Rams aufgestellten 10 Thesen zum Design abschneidet.
Vorab eine kurze Vorstellung der Person Dieter Rams. Geboren im Jahr 1932 in Wiesbaden, gilt er heute als einer der weltweit bekanntesten und bedeutendsten Industriedesigner. Nach seinem Architektur- und Innenarchitekturstudium bewarb er sich bei der Firma Braun, die zu der Zeit einer radikalen Modernisierung entgegenstrebte. Anfänglich für die Neugestaltung der Firmenräumlichkeiten eingestellt, wurde sein Können schnell von der Designabteilung entdeckt, wo er in die Entwurfsarbeit integriert wurde. In den Jahren 1961 bis 1995 war Rams der „Head of Design“ der Firma Braun und sorgte dafür, dass sich seine Arbeit, die durch hervorragende Qualität besticht, von der großen Masse an Konsumgütern absetzt. Besonderes Augenmerk bei seinen Entwürfen liegt auf der Zeitlosigkeit, einer hohen Funktionalität sowie einer sauberen Ästhetik. Die von ihm aufgestellten 10 Regeln für gutes Design sind für Industriedesigner jeder nachfolgenden Generation richtungweisend. So gilt Rams mit seinen Grundsätzen als klares Vorbild für den Entwurf des Appel iPod von Jonathan Ives.
Als einer seiner Meilensteine gilt unter anderem der bis heute berühmte Phonosuper SK4, eine Radio-Plattenspielerkombination aus dem Jahr 1956, den er in Zusammenarbeit mit Hans Gugelot entwarf und der wegen des Plexiglasdeckels den Spitznamen „Schneewittchensarg“ bekam.
Ab dem Jahr 1959 arbeitete Rams ebenfalls für die Firma Vitsœ, für die er unter anderem das wandmontierte Regalsystem 606 entwarf.
Von immer größerer Bedeutung für Rams wird der Aspekt der zwingend benötigten Nachhaltigkeit. „Ich glaube, dass zukünftige Generationen erschaudern werden, angesichts der Gedankenlosigkeit, mit der wir unsere Häuser, unsere Städte und unsere Landschaft mit aller Art Plunder vollstopfen.“
Von Rams entworfene Produkte werden heute weltweit in Museen ausgestellt.
Um nun den „Nicer Dicer“, im Folgenden ND, anhand der 10 Thesen zum guten Design bewerten zu können, werde ich zuerst eine Produktanalyse nach dem Offenbacher Ansatz durchführen.
Da es eine Besonderheit des ND ist, dass es ihn in unterschiedlichsten Set-Zusammenstellungen gibt, beziehe ich mich im Folgenden auf den ND Smart, welcher im 5tlg. Set für 14,95 € angeboten wird. Im Set enthalten sind ein Schneid-Deckel mit integriertem Stifteraster, ein Messereinsatz, ein Hobel-Einsatz mit Klingenschutz, ein Schneidguthalter sowie ein transparenter Auffangbehälter mit 800 ml Fassungsvermögen.
Der intendierte aktive Gebrauch des ND ist es, damit schnell und ohne besondere Fähigkeiten Gemüse, Obst, Eier oder Essbares mit ähnlicher Konsistenz zu zerkleinern. Durch die unterschiedlichen Aufsätze kann das Nahrungsmittel in Stick oder Scheibenform geschnitten werden. Außerdem soll der ND nach der Benutzung gereinigt und wieder abgetrocknet werden. Um große Reststücke aus dem Schneidgitter zu entfernen, gibt es eine extra Funktion, die durch Drücken eines rot abgesetzten Knopfes mechanisch stattfindet. Die unterschiedlichen Teile sollen im Set zusammen genutzt werden.
Der intendierte passive Gebrauch entspricht der Verwahrung im Küchenschrank, während er nicht gebraucht wird. Die unterschiedlichen Einsätze passen zu diesem Zweck alle zusammen in den Auffangbehälter.
Der nicht intendierte Gebrauch ist unter anderem das sich Hinzuziehen von Schnittverletzungen oder das Zerkleinern von Gegenständen, die keine Nahrungsmittel sind. Das Benutzen nur einzelner Schneid- oder Aufbewahrungsteile gehört ebenfalls dazu, sowie das manuelle Nachschärfen der Edelstahlschneiden oder das Abspalten von Kunststoffteilen des Produkts trotz sachgemäßer Verwendung.
Fahren wir fort mit der Analyse der produktsprachlichen Funktionen. Diese werden in drei Kategorien unterteilt: die formalästhetischen Funktionen, die Anzeichenfunktionen und die Symbolfunktionen.
Formalästhetische Funktionen
Das Produkt besteht aus Kunststoff und Edelstahl. Die unterschiedlichen Kunststoffaufsätze sind rot, der Auffangbehälter ist durchsichtig. Der Adapterdeckel, der zwischen Auffangbehälter und Schneidaufsatz sitzt, ist weiß. Die Schneiden sind jeweils aus Edelstahl. Alle Kunststoffteile sind im Spritzgussverfahren gefertigt wurden. Die Oberflächenbeschaffenheit ist glatt und glänzend. Das Formenrepertoire ist einem Baukastensystem entsprechend. Alle Teile sind in der Draufsicht rechteckig und passen in oder auf den Adapter für den Auffangbehälter. Die Aufsätze wirken teilweise klobig und erinnern durch ihre Form und Farbe an buntes Kinderspielzeug. Das Gewicht beläuft sich auf 0,5 kg.
Anzeichenfunktionen
Die Kunststoffteile weisen, dort wo sie angefasst werden sollen, Griffe oder breitere Überlappungen auf. Die linear verlaufenden Rillen auf dem Reibeeinsatz visualisieren die richtige Gebrauchsrichtung, außerdem sorgen sie dafür, dass das Schneidgut einen besseren Halt auf der Reibe hat und man weniger leicht abrutscht. Das durchsichtige Material der Auffangbox dient zur guten Übersicht darüber, wieviel bereits zerschnitten wurde. Die Inhaltsmarkierungen erleichtern das Abmessen. Der schon früher erwähnte große rote Knopf fordert durch seine Präsenz zum Drücken und gleichzeitigen Reinigen der Maschine auf.
Symbolfunktion
Für mich steht der ND für die Vereinfachung und Standardisierung eines Arbeitsprozesses. Das Produkt sorgt für eine größere Distanz zwischen Person und Nahrungsmittel, da alles gleich behandelt wird. Nur der Druck, den man aufbringen muss, um etwas in immer genau gleiche Teile zu zerteilen, ist unterschiedlich. Die Ästhetik, die damit verbunden ist, wenn gekonnt und präzise mit einem Messer in der Küche gearbeitet wird, geht völlig verloren.
Außerdem ist er in zweierlei Hinsicht ein Ausdruck für Massenproduktion. Einerseits, da der Reinigungsaufwand zu groß erscheint, um nur ein einziges Teil zu zerkleinern. Es scheint sich erst zu lohnen das Produkt zu benutzen, wenn möglichst viele Sachen geschnitten werden müssen. Des Weiteren zeigt gerade die schiere Masse der unterschiedlichen Setgrößen, -formen, -farben und -funktionen, in denen der ND erhältlich ist, um was für ein billiges Produkt es sich handelt. Es erweckt den Anschein, dass der Hersteller klar auf Quantität statt auf Qualität setzt. Dies wird weiterhin durch die Art und Weise des Vertriebskanals, also in diesem Fall das Teleshopping, verstärkt.
Kommen wir nun zu jeder einzelnen der 10 Thesen zum Design, um anhand dieser Thesen das Design des ND bewerten zu können.
1. Gutes Design ist innovativ
Eine besondere Innovation steckt nicht hinter der Funktion des ND. Einzig und allein das Zusammenspiel der unterschiedlichen Schneidemöglichkeiten könnte man als Neuheit auffassen. Dies wird aber im selben Atemzug durch die unendlichen Variationen, in denen es den ND zu kaufen gibt, zu Nichte gemacht. „Beliebige Neuartigkeit als Selbstzweck“ scheint das Motto zu sein.
2. Gutes Design macht ein Produkt brauchbar
„Die wichtigste Aufgabe des Designs ist es, die Brauchbarkeit eines Produkts zu optimieren.“ Eine gewisse Brauchbarkeit ist zweifellos gegeben, jedoch wird einem gleichzeitig von der Marke Genius suggeriert, dass man für jeden auch noch so kleinen Unterschied in der Zerkleinerung eines Gemüses, einen extra Schneideaufsatz benötigt. So endet es in einer Materialschlacht, möchte man unterschiedliche Endprodukte. Zusätzlich werden für spezielle Gemüse extra Aufsätze empfohlen. Das stellt die Brauchbarkeit ohne diverse Extra-Aufsätze komplett in Frage.
3. Gutes Design ist ästhetisch
Gerade im Bereich der Ästhetik lässt es sich leicht streiten, da eine objektive Sicht unmöglich scheint. Aus diesem Grund schaue ich besonders auf die Art und Weise, mit der das Produkt bedient wird. Wenn eine geübter Koch/Köchin Gemüse schneidet, ist ohne Zweifel von einem ästhetischen Arbeitsablauf zu sprechen. Wohingegen das Zerkleinern mit dem ND jegliche Ästhetik verliert, da weder besonderes Können noch eine dynamische Arbeitsweise von Nöten ist.
4. Gutes Design macht ein Produkt verständlich
Wie unter dem Punkt Anzeichenfunktionen dargestellt, kommuniziert das Produkt durchaus den gewünschten niederkomplexen Gebrauch.
5. Gutes Design ist unaufdringlich
Allein durch die Vermarktung kann man nicht von Unaufdringlichkeit sprechen. Alles wird immer zum Angebotspreis verkauft und somit dem Zuschauer nahezu aufgezwungen werden.
6. Gutes Design ist ehrlich
Den ND gibt es in allerlei knalligen und schreienden Farben. Er erinnert durch die klobige Form und die bunten Farben an Kinderspielzeug, was schnell gefährlich werden kann, da er ausdrücklich nicht in Kinderhände geraten darf. Zu groß ist die Verletzungsgefahr. Andererseits wird so ebenfalls das spielerisch leichte Zerkleinern unterstrichen. Die Handhabung - kinderleicht.
7. Gutes Design ist langlebig
Kunststoff ist zwar in der Tat sehr langlebig, leider jedoch sehr schwer zu reparieren. Die Klingen sind während des Spritzgussverfahrens ins Material eingearbeitet worden. So ist keine Klinge auswechsel- oder schärfbar. Es muss somit immer ein komplettes Teil ersetzt werden. Außerdem wird die Qualität des Produkts teilweise sehr schlecht bewertet. Beim Zerteilen von Gemüse könnte es passieren, dass teilweise auch Kunststoff vom Produkt abgetrennt wird. Alles Dinge, die gegen eine gewisse Langlebigkeit sprechen.
8. Gutes Design ist konsequent bis ins letzte Detail
Bei dem Produkt wurden zwar bestimmte Entscheidungen, wie die Materialwahl und die Fertigung konsequent durchgezogen wurden, dies allerdings zum großen Nachteil des Endprodukts.
9. Gutes Design ist umweltfreundlich
Kunststoff ist in den seltensten Fällen wirklich gut recycelbar. Die anderen aufgeführten Probleme unter Punkt 7) gelten hier genauso. Womit feststeht, dass das Produkt weit entfernt von umweltfreundlich ist.
10. Gutes Design ist so wenig Design, wie möglich
Bei dem ND hat man regelrecht das Gefühl, dass nicht aus Sicht des späteren Nutzers oder gar für den Nutzer designed wurde, sondern einzig und alleine für den Konsum.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass unter der zur Hilfenahme der 10 Thesen von Rams der ND wirklich schlecht abschneidet. Die Aufgabe des Designers lag hier nicht in der guten Befriedigung bestimmter Bedürfnisse des Nutzers. Eher kann man davon ausgehen, dass die Fragen:
Was verkauft sich gut?
Wie kann man immer wieder einen neuen Kaufanreiz schaffen?
gestellt wurden. Auf diese Fragen weiß der ND ganz klar eine Antwort. Die große Bekanntheit, die durch sehr gezieltes Marketing und eine ganz bestimmte Produktsprache erreicht wurde, spricht in diesem Punkt für sich. Jedoch bedeuten für Rams hohe Verkaufszahlen nicht zwangsläufig gutes Design, was man durch diesen Essay unterstreichen kann.
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Links:
Rams, Dieter Less but better - Weniger, aber besser, 4. Aufl.,Hamburg 2005
Schwer, Thilo Der Offenbacher Ansatz; Zur Theorie der Produktsprache,
Vöckler, Kai Bielefeld 2021
Rams, Dieter Omit the Unimportant, Design Issues, Spring 1984, S. 24-26
Rams, Dieter Waste not want not, RSA Journal 1999, S.122-123
Genius GmbH, https://www.genius.tv/kochen/schneidsysteme-und-messer/nicer-dicer/651/nicer-dicer-smart-set-5tlg. (letzter Zugriff: 25.06.2022).
Genius GmbH, https://media.genius.tv/media/pdf/15/98/bb/BedienungsanleitungNDsmartIMDE1219.pdf (letzter Zugriff: 25.06.2022).
Vitsoe Ltd, https://www.vitsoe.com/de/ueber-vitsoe/dieter-rams (letzter Zugriff: 26.06.2022).