Hybritität im Film Avatar
by A.P.James Camerons Avatar
In Bruno Latours „An Attempt at a “Compositionist Manifesto”“ beginnt er mit einer Zusammenfassung des Films Avatar von James Cameron aus dem Jahr 2009. Der Film spielt im Jahr 2154, in dem die Rohstoffe auf der Erde erschöpft sind und die Menschen auf anderen Planeten nach Rohstoffen suchen. Dabei finden sie auf dem Mond Pandora das seltene Mineral Unobtanium. Der Mond ist allerdings von den Na’vi bewohnt, die in starkem Einklang mit der Natur leben und sich gegen die Zerstörung ihrer Heimat wehren. Da auf Pandora eine erdähnliche, aber für den Menschen tödliche Atmosphäre herrscht, züchten ein Konzern künstliche Na’vi Körper, die über Bewusstseinsübertragung gesteuert werden können. Indem sie in diesen Körpern Kontakt zu den Einheimischen knüpfen, sollen diese dazu bewegt werden ihre Heimat aufzugeben. Dabei will das wissenschaftliche Team auf der Station mehr Wissen über das Volk erlangen und friedliche Vermittlung erzielen, doch der militärische Leiter der Basis selbst die Schwachstellen in ihrer Verteidigung finden.
Der ex-US Marine Jake Sully, der von der Hüfte abwärts gelähmt ist, nimmt an der Mission teil und lernt in seinem Na’vi Körper das Volk kennen. Er wird von ihnen zum Kämpfer ausgebildet und sogar in den Stamm aufgenommen. Jake wird schnell klar, dass die Na’vi ihre Heimat niemals aufgeben werden, da ihr Glaube und ihre Existenz viel zu sehr mit ihrer Heimat verbunden sind. Als es zu militärischen Auseinandersetzungen kommt, läuft Jake zu den Na’vi über und es gelingt ihnen am Ende die Menschen zu besiegen und von ihrer Heimat zu vertreiben.
Die Menschen verwüsten im Film nicht nur den Planeten und töten Einheimische, sondern stellen sich von Anfang an selbst über die Einheimischen aufgrund von arroganten und gleichzeitig naiven Wertvorstellungen davon, was es bedeutet intelligent und überlegen zu sein.
Bruno Latour
Latour und mehrere weitere Autoren sprechen die Parallelen des Films mit Hesiods Büchse der Pandora in der griechischen Mythologie an. Laut der Geschichte lässt Pandora mit dem Öffnen der Büchse alles Elend und Übel in die Welt frei. Die zuvor paradiesische Erde erfährt von da an bisher unbekannten Kummer, Leid, Schmerz und Krankheiten. Als einziges bleibt die Hoffnung in der Dose zurück. In dieser Interpretation können die Menschen als das Übel aus Pandoras Box gesehen werden, wobei Jake sich als die Hoffnung entpuppt, die in der Büchse zurückbleibt.
Latour hält den Film für „das erste Hollywood-Drehbuch über die Auseinandersetzung der Moderne mit der Natur, das die ultimative Katastrophe und Zerstörung nicht als gegeben hinnimmt“. Er sieht ihn als „eine neue Suche nach Hoffnung unter der Voraussetzung, dass das, was es bedeutet, einen Körper, einen Geist und eine Welt zu haben, völlig neu definiert wird“. Seiner Meinung nach „ist der modernisierte und modernisierende Mensch physisch, psychologisch, wissenschaftlich und emotional nicht in der Lage, auf seinem Planeten zu überleben.“
Diese Meinung Latours spricht Themen des Films an, die ich besonders interessant finde.
Verbindung zur Natur der Na'vi
Die Verantwortung eine Welt zu haben
Die menschliche Geschichte und Gegenwart zeigt, wie wir gelernt haben, das, was die Natur uns gegeben hat, zu nutzen, kombinieren, weiterzuentwickeln und somit den menschlichen Fortschritt voranzutreiben. Das Problem entstand, als immer mehr von unserem Planeten genommen wurde, als zurückgegeben wurde oder sogar zurückgegeben werden konnte.
Der Begriff Nachhaltigkeit wurde im Jahr 1713 zum ersten Mal eingeführt und bezog sich zu dieser Zeit nur auf die Forstwirtschaft. Die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen hat diesen Begriff im Jahr 1987 erweitert und definiert als: „die Bedürfnisse der Gegenwart zu erfüllen, ohne die Fähigkeit künftiger Generationen zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse zu gefährden“. 1998 wurde der Begriff nochmals erweitert und in drei Säulen aufgeteilt: Ökologie, Ökonomie und Soziales. (vgl. Nachhaltigkeit - Geschichte und Ziele - Scientific Solutions for Sustainability e.V., n.d.)
Nachhaltigkeit ist ein Konzept, das zwar mittlerweile (und damit eigentlich schon zu spät) angestrebt wird, doch in vielen Bereichen nie im Vordergrund steht, anstatt, dass es als notwendige Grundlage unseres Lebens auf unserem Planeten als selbstverständlich erachtet wird.
Der Film Avatar, zeigt nicht als einziger Film oder Roman, was passieren könnte, wenn wir unsere Erde bis zum letzten bisschen ausschöpfen. Doch er zeigt, wie Latour formuliert hat, auch, dass diese Zerstörung nicht als gegeben hingenommen werden muss und vor allem sollte.
Im Film stehen die Menschen mit ihrer Arroganz und Gier nach Rohstoffen dem Folk der Navi gegenüber, die an die sogenannte Göttin Eywa glauben und diese verehren. Ewya hat ein eigenes Bewusstsein und ist mit allem und jedem Lebewesen auf Pandora verbunden.
Dadurch ist Nachhaltigkeit für die Navi kein Konzept, das verstanden werden muss, sondern schon immer von ihnen gelebt wird. Sie sehen sich als ein Teil der Wildnis und schenken einander nicht mehr oder weniger Respekt, als der Natur und den Lebewesen um sie herum. Das wird schon am Anfang des Films erkennbar, als einem getöteten Wolfs-ähnlichen Lebewesen der gleiche Respekt gezollt und ihr Tot bedauert wird, als wäre es die eigene Lebensform. Dieses Verständnis hat der Großteil der Menschen heutzutage verloren.
Menschlichkeit und ihr Bezug zum menschlichen Körper
Im Film haben die Wissenschaftler Na’vi Körper (sogenannte Avatare) künstlich gezüchtet und die Möglichkeit entwickelt, das Bewusstsein eines in einer Kapsel liegenden Menschen in einen Na’vi Körper zu übertragen. So ist es Jake im Film möglich trotz seines in Wirklichkeit von der Hüfte abwärts gelähmten Körper in seinem Na’vi Körper zu laufen und sich auf dem Mond mit seiner für den Menschen tödlichen Atmosphäre zu bewegen. Jake und sein Na'vi Körper Am Ende des Films lässt Jake sein Bewusstsein dauerhaft und unumkehrbar von seinem verkrüppelten Körper in seinen Avatar übertragen, um als Na’vi auf Pandora zu leben. Er kehrt die Beziehung zwischen dem originalen Körper und der Kopie des Navikörpers um.
Die Beziehung zwischen Mensch, Körper und Geist sind ein spannender Themenbereich. Ab wann ist der Begriff des Menschen noch direkt abhängig von seinem Bezug zum menschlichen Körper?
Wenn wir Organe im Labor herstellen können werden und diese dann als Ersatz für versagende Organe nutzen; wenn wir mit genmodifizierten Tierorganen menschliche ersetzen können, wie es bei der Transplantation eines genmanipulierten Schweineherzen in einen Menschen in den USA schon erfolgreich war; wenn Menschen Prothesen bekommen, die durch ihre Technologie perfekt den menschlichen Körper nachahmen können und dabei sogar gewisse Mängel des biologischen Körpers beseitigen.
Der Fortschritt der Medizin, den Schwachstellen des menschlichen Körpers entgegenzuwirken, wird vermutlich so lange weitergetrieben, bis die Menschen sicher sind, dass es nichts mehr zu verbessern gibt. Wobei die Natur des Menschen diesem Szenario so gut wie immer widerspricht, da dieser Punkt für sie wahrscheinlich nie komme wird. Wir verbessern und wir suchen Lösungen, das war schon immer so. Doch ab welchem Punkt wird der Mensch die Schwachstelle, die nicht verbessert, sondern nur überwunden werden kann?
Filme wie Surrogate von Regisseur Jonathan Mostow aus dem Jahr 2009, in dem Menschen ihr Leben leben, in dem sie von der Sicherheit ihres Zuhauses aus sogenannte Surrogates, perfekt (zu perfekt!) menschlich aussehende Roboter steuern, treiben die Angst vor der Zerbrechlichkeit des Körpers, aber auch die Angst vor mangelnder Perfektion und Schönheit des eigenen Körpers, an die Spitze. Filme und Bücher wie Ready Player One treiben das Ganze in eine leicht andere Richtung, da ein Großteil ihres Lebens nicht mal in unserer realen Welt stattfindet, sondern sie ihren Avatar in der Oasis (einer digitalen Welt) steuern. Allerdings leben sie den Rest ihres Lebens als ‚normale‘ Menschen in ihren eigenen Körpern. In Filmen wie iRobot erkennt das vom Menschen geschaffene Produkt, das die Menschheit beschützen und ihre Zukunft garantieren soll, den Menschen selbst als Schwachstelle seiner zukünftigen Überlebenschance an.
Ab welchem Punkt der Verbesserung und Weiterentwicklung ist der Mensch noch Mensch oder längst etwas anderes ist? Wie viel Prozent Mensch muss er noch sein, um als solcher zu gelten? Mit fortschreitender medizinischen Entwicklung wird diese Frage immer schwerer zu beantworten.
Ein anderer Aspekt den ich in Avatar an ihrer Nutzung von gezüchteten Na’vi Körpern so interessant finde ist nicht nur die Möglichkeit menschliche körperliche Hindernisse zu überwinden, sondern auch der Grund der sozialen Hindernisse, die bei der Mission auftauchen würden. Jake taucht in seinem Na’vi Körper in das Leben des Stammes ein und wird von ihnen zum Krieger ausgebildet. Das wäre zwar ohne einen Na’vi Körper rein körperlich nicht möglich, doch es geht vor allem auch um die Möglichkeit in seinem anderen Körper in eine Gesellschaft, ein Leben einzudringen, von dem es davor nicht möglich war, es so zu erleben. Jake fühlt die Berührungen auf seiner Haut so wie die Na’vi, er bewegt sich wie sie, er hört wie sie und er kann die Natur um sich rum genauso spüren wie sie. Das ‚Tragen‘ eines anderen Körpers schafft zum einen eine Möglichkeit das erlangte Wissen auszunutzen (was meistens der Zwiespalt beim Erlangen von Wissen ist), wie der militärische Leiter der Basis zeigt, der Jakes Erkenntnisse über das Volk nutzen will, um ihre Schwächen zu finden, aber es schafft auch die Möglichkeit Empathie und Verständnis zu erlangen, das ohne die eigene Erfahrung nicht empfindbar und greifbar gewesen wäre.
In einem Artikel von Celine Derikartz trifft sie meine Meinung dazu mit Folgendem sehr genau: „Cameron selbst erklärte, dass es im Film darum geht, Sichtweisen zu ändern. Der Name Pandora würde in die Irre führen, da man einen Ort des Bösen vermutet. Sieht man die Welt jedoch durch die Augen der Na’vi, erscheint es als Paradies.“ (Derikartz, 2020)
Ich habe in der Überschrift dieses Abschnitts das Wort Menschlichkeit benutzt und habe es hier sowohl in seiner ersten Definition von ‚Dasein als Mensch, als menschliches Wesen‘, aber auch von seiner zweiten Definition einer ‚Haltung und Gesinnung‘ gemeint. ‚Menschlichkeit zeigen‘ trifft im Film sowohl auf die Menschen zu, die einen Planeten und ein Volk für seine Rohstoffe zerstören würden (das ist geschichtlich gesehen leider sehr typisch menschlich), aber trifft auch auf Jake zu, der es durch sein Verständnis am Ende schafft, durch die Erfahrungen, die er in seinem nicht menschlichen Körper sammelt, in der Bedeutung des Begriffes Menschlichkeit zeigt, die wir erstreben sollten.
1814 words
Links:
Scientific Solutions for Sustainability e.V. n.d. Nachhaltigkeit - Geschichte und Ziele - Scientific Solutions for Sustainability e.V.. [online] Available at: <https://s3-science.org/geschichte-und-ziele/> [Accessed 16 January 2022]
Derikartz, C., 2020. Avatar: James Cameron und die Büchse der Pandora (Celine Derikartz). [online] Fantastische Antike - Antikenrezeption in Science Fiction, Horror und Fantasy. Available at: <https://fantastischeantike.de/avatar-james-cameron-und-die-buechse-der-pandora-celine-derikartz/> [Accessed 16 January 2022]